Warum Notfallmedizin uns alle betrifft

Frank Heringer | Foto: Privat
Frank Heringer | Foto: Privat

Das Frankfurter Interdisziplinäre Institut für Notfallmedizin und Simulationstraining (kurz: FINeST) ist seit 2005 zuständig für die Lehre der Notfallmedizin und Erste Hilfe im Laufe des Medizinstudiums in Frankfurt am Main. Dabei wird besonderer Wert auf das Erlernen praktischer Fertigkeiten gelegt, die im Ernstfall zuverlässig abgerufen werden können. Dabei berufen sie sich vor allem auf die Grundsätze ihres mission statements:

"Jeder Arzt muss eine notfallmedizinische Erstversorgung kompetent durchführen können. Dazu ist kontinuierliche praktische Ausbildung bereits im Studium unerlässlich. Der Aufwand ist hoch. Eine verantwortungsvolle Alternative ist für uns nicht erkennbar."

Frank Heringer ist Organisatorischer Leiter des FINeST und für die Koordination der Kurse zuständig. Wir haben mit ihm über die Bedeutung der Notfallmedizin gesprochen.

 

 

Erzählen Sie uns doch etwas zu Ihrer Person.

Heringer: Mein Name ist Frank Heringer. Ich bin von Beruf Verwaltungsfachangestellter, Rettungsassistent und Lehrrettungsassistent, habe eine Ausbildung als Feuerwehrmann und habe Sozialpädagogik studiert.

 

Was hat Sie dazu bewogen, in der Lehre zu arbeiten?

Heringer: Ich bin 2007 von Professor Felix Walcher, dem Gründer des FINeST, aus dem Rettungsdienst abgeworben worden. Am Anfang war das für mich eine Blackbox, der Studierende war für mich eine Blackbox. Was sind das für Menschen? Was tun die da? Was können die? Ich habe aber innerhalb der ersten ein, zwei Jahre sehr schnell gelernt, dass es kaum ein dankbareres Klientel als den Studenten gibt. Die wissen, auf was für ein Arbeitsfeld sie stoßen werden und haben einen hohen Bedarf, gut ausgebildet und vorbereitet – emotional wie praktisch – in diese Praxis zu gehen. Denn im Endeffekt geht es am Schluss für uns alle um die Patienten, die nachher auf uns angewiesen sind, teilweise uns ausgeliefert sind. Wir müssen gute Arbeit leisten. Und dafür brauchen wir Ausbildung.

 

Wie hoch ist denn Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Notfallmedizin für Mediziner?

Heringer: Ich bin natürlich, weil ich mit der Notfallmedizin schon so lange vertraut bin, der Meinung, dass es unerlässlich wichtig ist. Das Problem dabei ist, dass wir nie wissen, wann uns die Notfallmedizin als Lebensereignis einholt. Auch wenn ich als Hausarzt in der Praxis gute Medizin mache, werde ich trotzdem irgendwann einen Notfall erleben. Und dann, egal welcher Fachrichtung der Arzt angehört, sollte zumindest die Basis so sauber und professionell laufen, dass der Patient profitiert.

Ich habe aus meiner Zeit als Rettungsdienstler Ärzte erlebt, die ich einfach nur bewundern kann, habe aber auch Ärzte gesehen, die hilflos waren. Ein Beispiel, das mir sehr deutlich im Kopf ist: Beim Eintreffen an der Einsatzstelle, haben wir einen Arzt angetroffen, der mehrere Personen zu versorgen gehabt hätte. Und er stand da und hat eine Binde aufgewickelt, die auf den Boden gefallen ist und sich entrollt hat. Er war so überfordert von dem Geschehen um ihn herum, dass er sich irgendeine kleine Tätigkeit gesucht hat, auf die er sich konzentrieren kann.

Ausbildung soll so etwas  verhindern und Abläufe in eine Person inkorporieren. Und das kann ich nicht mit einer Vorlesung. Ich muss die Person auch mal unter Stress setzen.

 

Glauben Sie, das Studium wird dem Anspruch der Notfallmedizin gerecht?

Heringer: Es gibt einen nationalen Lernzielkatalog mit einer festgeschriebenen Anzahl an Einheiten Notfallmedizin. Die meisten Studierenden kennen diesen Katalog nicht. Eigentlich sollte der für alle medizinischen Fakultäten in Deutschland eine Richtlinie bilden. Im Studium findet sich der jedoch nicht wieder.

Aber um die Frage klar zu beantworten: Nein. Der Medizinstudent wird im Rahmen des Studiums nicht hinreichend in Notfallmedizin ausgebildet.

 

Finden Sie, dass Medizinstudenten schon in der Vorklinik mit Notfallmedizin konfrontiert werden müssten?
Heringer: Die Qualität des Erste-Hilfe-Kurses, der zum Beispiel auch vor dem Physikum gemacht werden muss, hat nachgelassen. Das wissen wir. Wenn ein Mensch vor zwei Medizinstudenten umkippt, müsste er zumindest genauso viel Hilfe bekommen, wie er von zwei gut ausgebildeten Ersthelfern erwarten kann. Mir reicht es da eigentlich schon, wenn ein Student zumindest in der Lage ist, den Patienten erstzuversorgen oder bei subakuten Sachen einfach mal in den Arm zu nehmen und Trost zu spenden.

 

Wie würden Sie die Lehre in der Notfallmedizin verbessern?

Heringer: Es sollte ein durchgehendes aufeinander aufbauendes Curriculum geben. Das wäre eine organisatorische Herausforderung, vor der ich großen Respekt habe. Wie das realisierbar ist, kann ich nicht sagen. Aber rein didaktisch wäre meine Antwort: Von vorne anfangen, früh Ausbildungseinheiten einstreuen und die dann wiederholen. Die können ja auch kürzer sein. Im vierten oder fünften Semester dann der Simulatorkurs, wenn die Studenten kurz vor dem PJ sind und mehr klinische Erfahrung haben.

 

Wie sieht die Zukunft der Lehre aus?

Heringer: Ich glaube, dass eine Zukunft der Lehre so aussehen sollte, dass die Lehrenden gut ausgebildet werden. Ich darf nicht einen Arzt, nur weil er Arzt ist, aus der Klinik ziehen und in die Lehre stellen. Ich muss den Lehrenden ausbilden, damit er einen Studierenden mitnehmen kann. Dieser pädagogische Aspekt gehört in einem hohen Maße dazu.

Auch die Art der Nachbesprechung im Anschluss an den Kurs ist mit entscheidend für den Lernprozess. Wenn ich nur defizitorientiert nachbespreche, weil ich damit Zeit spare, und nur sage, was er alles falsch gemacht hat, dann habe ich aus pädagogischer Sicht keinen guten Lerneffekt.

 

Was darf man als Medizinstudent aus rechtlicher Sicht alles machen, wenn im Notfall kein Arzt da ist?

Heringer: Was man erwartet, wenn man in einer Klinik ist, ist nicht das gleiche, das man erwartet, wenn man im Flugzeug ist. Ein Notfall im Flugzeug ist eine besondere Situation. Ich kann keinen Notarzt anrufen. Deshalb gelten da andere Regeln. Manche Luftfahrtgesellschaften, wie Lufthansa, händigen dem Helfer eine Ausschlusserklärung aus. Da wird der Helfer von der Lufthansa aus aus allen Regressansprüchen entlassen. Der Helfer ist damit auf der sicheren Seite. Von der Lufthansa weiß ich, dass es einen Koffer mit zwei Seiten gibt. Die eine Seite ist auch Laien zugänglich. Die andere Seite darf ich nur aufmachen, wenn ich einen Ausweis habe, der mich als Arzt, Rettungsassistent oder ähnliches ausweist. Aber: AED bedienen kann jeder, der ist an Bord. Und die Grundlagen darf auch jeder machen.

Allgemein gilt: Jeder der helfen will, soll helfen. Und wenn man Sachen macht, die man hinterher nicht mehr erklären kann, dann ist man auf dünnem Eis. Aber alles, was man als Basismaßnahmen abarbeiten kann, sollte man machen.

 

Als konkretes Beispiel: Allergischer Schock im Flugzeug. Darf ich als Medizinstudent Cortisol und Adrenalin verabreichen, wenn nötig?

Heringer: Wenn Sie mit dem Patienten reden können und ihm erklären, dass Sie Medizinstudent sind, Sie folgende Medikamente geben möchten und warum – ihn also aufklären soweit möglich –, dann sehe ich gar keinen anderen Weg, als dass sie es tun, solange Sie alles tun, um festzustellen, dass sie ordnungsgemäß handeln. Beispielsweise müssen Sie aspirieren und sicherstellen, dass Sie nicht para spritzen.

Kurz gesagt: Alles was Sie kennen und können, sollten Sie auch tun.

 

Was raten Sie Studenten, die sich für die Notfallmedizin begeistern und mehr Engagement investieren möchten als im Stundenplan vorgesehen ist?

Heringer: Mir fällt da beispielsweise die Studentische Poliklinik in Frankfurt ein. Studentische Projekte sind immer gewinnbringend. Was auch immer möglich sein sollte, ist sich in den Hilfsorganisation zu engagieren. Man muss sich auch damit bescheiden, dass man da nicht als Pseudo-Arzt steht und zuguckt, sondern dass man mit anpackt. Dadurch lernt man auch wichtige praktische Fertigkeiten.

 

Welche Tipps haben Sie für Studenten, die mal in eine Notsituation kommen?

Heringer: Eigensicherung beachten. Der Helfer, der in einer Ausnahmesituation helfen soll, muss einmal kurz die Füße anhalten und rechts und links gucken, um zu sehen, ob das Schadensereignis beendet ist oder ob noch Gefahr besteht. Das zweite ist: Notruf nicht vergessen. Denn wer alleine kämpft, geht auch alleine unter. Der Notruf, akustisch und per Telefon, um professionelle Hilfe zum  Einsatzort zu holen, ist mitunter das allerwichtigste. Je später der Rettungsdienst eintrifft, desto schlechter die Chancen des Patienten. Deshalb ist manchmal das Absetzen des Notrufes wichtiger als die Behandlung. Das muss man abwägen.

 

Möchten Sie zum Abschluss noch etwas sagen?

Heringer: Ich habe heute von einer Kollegin in der Fachschaft einen Spruch gehört: Jeder Student ist die Fachschaft. Ich hoffe, dass Studierende sich ihre Interessen sich nicht einfach nur diktieren lassen, sondern auch feststellen, dass der Student ein Spezialist seiner Lebenswelt ist. Die anderen Spezialisten – das Dekanat, die Ärzte – geben Ihnen einen Teil Ihrer Lebenswelt vor. Sie müssen sich aber auch klarmachen, was Ihnen selbst wichtig ist und dass Sie sich dafür engagieren müssen.

 

Herr Heringer, wir bedanken uns für das Interview.

 

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