Faszination Physiologie

Die Physiologie zählt zu den anspruchsvollsten aber auch faszinierendsten Fächern des vorklinischen Abschnitts im Medizinstudium. Wer die Muße hat, einmal über den Tellerrand des Lernkatalogs hinauszuschauen, wird feststellen, dass Physiologie nicht nur spannend sein kann, sondern auch mit der einen oder anderen Überraschung bereitsteht, die sogar im Alltag nützlich werden kann. Und wer doch keinen Nutzen daraus zieht, kann zumindest auf der nächsten Party damit glänzen.

 

Wir erklären euch 8 faszinierende Fakten, die ihr (vielleicht) noch nicht kanntet.

Foto: pexels.com
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1. Warum schmeckt nach dem Zähneputzen alles bitter?

Wir haben es bestimmt schon mal alle erlebt: Wir putzen uns abends die Zähne und verspüren danach doch noch etwas Durst. Also greifen wir zum Orangensaft. Ein bisschen wir den Zähnen schon nicht schaden. Doch der Schreck ist groß: Der Orangensaft schmeckt so bitter, dass wir ihn am liebsten wieder ausspucken möchten… Aber warum ist das so?

 

Der Mensch unterscheidet fünf Geschmacksqualitäten: salzig, süß, sauer, bitter und umami (fleischig). Früher ging man davon aus, dass man jede Geschmacksqualität einem Teil unserer Zunge zuordnen kann, beispielsweise soll die Zunge süß am besten an der Zungenspitze schmecken können.

 

Heute weiß man, dass dies nicht stimmt. Unsere Geschmacksrezeptoren sind mehr oder weniger willkürlich auf unserer Zunge verteilt… bis auf eine Ausnahme: bitter. Bitter-Rezeptoren finden sich vor allem nahe der Zungenwurzel, also weit hinten auf der Zunge.

Putzen wir uns nun die Zähne, verstopft Zahnpasta die Geschmacksknospen. An die Zungenwurzel gelangt jedoch kaum Zahnpasta, dort bleiben die Geschmacksknospen zum Teil unberührt. Während die übrigen Geschmacksrezeptoren also nicht mehr erregt werden können, sind die Bitter-Rezeptoren immer noch aktivierbar.

Da fast jede Nahrung Bitterstoffe enthält, schmeckt alles bitter. Denn der bittere Geschmack kann nicht mehr von anderen Qualitäten überlagert werden.

 

Übrigens: Wer nach dem Zähneputzen doch noch etwas essen – und auch genießen will, sollte zu etwas Fetthaltigem, beispielsweise Milch, greifen. Das Fett spült die Zahnpasta aus den Geschmacksknospen. Dann schmeckt der Orangensaft auch wieder lecker.

2. Auch Männer haben ihre Tage.

Der Mythos, dass Männer einen Monats-Zyklus haben, hält sich lange. Diverse Umfragen haben gezeigt, dass auch viele Männer selbst daran glauben. Falsch ist es aber leider trotzdem. Männer haben keinen Monats-Zyklus, dafür jedoch einen 24-Stunden-Zyklus.

 

Vormittags ist der Testosteron-Spiegel am höchsten. Man(n) fühlt sich voller Energie und selbstbewusst. Am streitlustigsten ist er hier auch.

Mittags beginnt der Testosteron-Spiegel wieder zu sinken. Männer werden ruhiger, sanfter, lachen öfter. Wenn frau reden will, ist jetzt die beste Zeit dazu.

Von 17 bis 19 Uhr werden Männer müde. Ruhezeit angesagt.

Ab 19 Uhr sinkt der Testosteron-Spiegel noch mal rapide ab. Dafür wird vermehrt Oxytocin freigesetzt. Zeit zu kuscheln! Man(n) ist jetzt auch am ehesten dazu geneigt, die Dame seines Herzens mit einer Massage so richtig zu verwöhnen.

3. Warum der Intentionstremor eigentlich gar kein Tremor ist.

Den Begriff Tremor kann man unterschiedlich streng definieren. Manche verstehen darunter lediglich ein unwillkürliches Muskelzittern. Genauer definiert sind ein Tremor unwillkürliche und streng rhythmische, sich wiederholende Kontraktionen antagonisierender Muskelgruppen.

Wenn man diese Worte auf die Goldwaage legt, fällt der Intentionstremor nicht in diese Definition. Intentionstremor ist ein Muskelzittern, das bei zielgerichteten Bewegungen bei Schädigung des Kleinhirns auftreten kann, und stärker wird, je näher man dem Ziel kommt.

 

Eine der wichtigsten Funktionen des Kleinhirns ist die Korrektur fehlerhafter Bewegungen. Das Kleinhirn arbeitet dabei so schnell und effektiv, dass wir diese Korrekturbewegungen normalerweise gar nicht bemerken. Fällt das Kleinhirn nun – beipielsweise aufgrund eines Infarkts – in seiner Funktion aus, müssen andere Hirnareale einspringen. Diese arbeiten jedoch deutlich langsamer und schlechter.

Wollen wir nun mit unserem Arm einen Gegenstand greifen, merkt unser Hirn erst sehr spät, dass wir unser Ziel verfehlen werden. Die Bewegung wird korrigiert, jedoch überschießend, sodass auch die neue Richtung inkorrekt ist. Je näher unser Arm dem Ziel kommt, desto eher bemerkt das Gehirn den Fehler und führt immer häufiger Korrekturen aus. Was also wie ein Muskelzittern aussieht, sind in Wirklichkeit Korrekturbewegungen.

4. Das Gummihand-Experimente: Der 1. April kann kommen!

Für das Gummihand-Experiment benötigt man eigentlich nur – wer hätte es gedacht – eine Gummihand. Man bittet den Probanden, seine Hände auf den Tisch zu legen. Neben einer Hand wird nun eine Gummihand platziert. Die echte Hand wird abgedeckt, sodass der Proband sie nicht mehr sieht. Stimuliert man nun beide Hände – die echte und die falsche – gleichzeitig, zum Beispiel indem man sie streichelt oder mit einem Pinsel berührt, entsteht beim Probanden der Eindruck, dass es sich bei der Gummihand um die echte Hand handelt. Rammt man nun – wie im Video – ein Messer in die Gummihand, entsteht beim Probanden für kurze Zeit das Gefühl, als ob wirklich die eigene Hand erstochen wurde.

 

Wie funktioniert das?

 

Zum einen funktioniert unsere Wahrnehmung nicht nur über die sensorischen Rezeptoren in unserer Hand. Auch der visuelle Sinn spielt eine Rolle. Wir sehen die Gummihand dort, wo unsere echte Hand liegen könnte. Und den Pinsel, der die Gummihand berührt, spüren wir (schließlich wird auch die echte Hand simultan gepinselt).  Zum anderen spielen aber auch γ-Motoneurone unserer Hand eine wichtige Rolle. Diese speziellen Motoneurone werden aktiviert, wenn wir unsere Muskeln bewegen und helfen dabei, dem Gehirn zu melden, in welcher Position sich unsere Gliedmaßen befinden. γ-Motoneurone werden aber auch durch Zuschauen erregt. Sieht ein Pianist einem anderen beim Spielen zu, werden auch seine γ-Motoneurone erregt, ganz so, als würde er selbst spielen. Das hilft beim Lernen motorischer Fähigkeiten. Ähnlich verhält es sich mit der Gummihand.

 

Übrigens: Ein ähnliches Prinzip kann man sich zur Therapie von Phantomschmerzen zunutze machen. Manche Patienten empfinden Phantomschmerz als Gefühl, als befände sich die fehlende Gliedmaße in einer unbequemen Position. Bei diesen Patienten kann die gesunde Gliedmaße mittels Spiegel so projiziert werden, dass es aussieht, als wäre die fehlende Gliedmaße noch da. Bewegt man die Gliedmaße nun aus einer unbequemen Position in eine bequeme, kann das die Phantomschmerzen bessern oder sogar ganz verschwinden lassen.

5. Macht mich Soja zur Diva?

Soja enthält Isoflavone, die manchmal auch Phytoöstrogene genannt werden, weil sie im Blut eine Östrogen-ähnliche Wirkung entfalten können. Isoflavone können – wenn auch schwächer als Östrogen – an Östrogen-Rezeptoren binden. Diese wiederum beeinflussen das genetische Material in unseren Zellen.

Für prämenopausale Frauen spielt das praktisch keine Rolle. Sie produzieren so viel Östrogen, dass die zusätzliche Wirkung von Soja nicht ins Gewicht fällt.

Anders sieht das aber bei Männern aus. Eine Studie, die 2005 vom „The Journal of Nutrition“ durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass Männer, die regelmäßig Sojamilch getrunken haben, leicht höhere Östrogenlevel zeigten als Männer, die Milch zu sich genommen haben. Statistisch relevant war der Unterschied zwar nicht, lustig finden wir es aber trotzdem.

Foto: pexels.com
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6. Warum muss man, um nachts Sterne beobachten zu können, an ihnen vorbeisehen?

Wer nachts Sterne beobachten möchte, darf diese nicht fokussieren. Wenn wir versuchen, sie direkt anzusehen, dann verschwinden sie. Bewegen wir unseren Blick weiter, können wir sie am Rande des Gesichtsfeldes aber wieder sehen.

 

Auf unserer Netzhaut finden wir zwei Arten von Rezeptoren: Zapfen und Stäbchen.

Während Zapfen für das Farbsehen zuständig sind, brauchen wir Stäbchen, um Licht wahrzunehmen.

Im Zentrum unserer Netzhaut – der Fovea centralis – besitzen wir praktisch nur Zapfen. Der Punkt, den wir beim Sehen also fokussieren, wird nahezu nur durch Zapfen wahrgenommen.

 

Nachts sind diese Zapfen jedoch inaktiv. Zapfen benötigen viel Licht, um aktiviert zu werden. Wenn es dunkel ist, fehlt das. Stäbchen dagegen sind viel empfindlicher. Sie benötigen viel weniger Licht.

Die meisten Stäbchen haben wir rund um die Fovea centralis. Wollen wir also im Dunkeln etwas sehen, sollten wir knapp daran vorbeisehen.

7. Wieso Sport beim Lernen hilft

Sport – wenn man ihn richtig macht – hat eine Vielzahl positiver Wirkungen: Man kräftigt Muskeln, trainiert Lunge und Herz, bringt Kreislauf und Stoffwechsel in Schwung, steigert die Libido… und bringt das Gehirn auf Trab.

 

Wie Studien zeigen, verbessert Bewegung die Aktivität und Neurogenese von Nervenzellen in unserem Hippocampus, dem Hirnareal, der gelernte Informationen ins Langzeitgedächtnis überträgt. Bei älteren Probanden kann durch Sport zudem der Abbau dieser Neurone vermindert werden, was protektiv gegen Demenzerkrankungen wirkt.

Wer das nächste Mal also für eine wichtige Klausur lernt, sollte sich vorher bewegen. Ein 15-Minuten-Spaziergang reicht schon aus.

8. Warum man Eisen und Zink nicht mit Milch einnehmen sollte.

Zink-Tabletten gehören zur Hausapotheke vieler Menschen. Gerade in der kalten Jahreszeit neigen viele dazu, das Immunsystem damit zu unterstützen. Ebenso greifen viele – besonders Frauen – mit Eisen-Tabletten Ihrem Stoffwechsel und der Blutbildung unter die Arme.

Also morgens beim Frühstück schnell die Tablette zum Kaffee oder mit dem Müsli eingenommen. Und schon gehören Stoffwechselprobleme der Vergangenheit an. Ja? So einfach ist es dann leider doch nicht.

 

Zweiwertige Kationen, wie Ca2+, Fe2+ oder Zn2+, werden im Darm vom gleichen Transporter resorbiert, dem DCT-1 (divalent cation transporter). Nehmen wir Zink oder Eisen mit Milch auf, konkurriert das Calcium aus der Milch mit Eisen und Zink. Da der Transporter nicht unbegrenzt schnell arbeiten kann, verbleibt ein Teil im Darm.

Besser ist es also, Calcium, Eisen und Zink getrennt voneinander einzunehmen. Sonst landet am Ende das kostbare Metall in der Schüssel.

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