FUSE: Der weiße Fleck auf der Karte der chirurgischen Ausbildung

Pascal Fuchshuber, MD, PhD, FACS | Foto: with permission from SAGES
Pascal Fuchshuber, MD, PhD, FACS | Foto: with permission from SAGES

Für Chirurgen ist der Einsatz von elektrochirurgischen Instrumenten während einer Operation zum Alltag geworden. Das "Monopolar" oder "Bipolar" ist bei kaum einer Operation noch wegzudenken. Das verleitet dazu, die Gefahren der Elektrochirurgie zu unterschätzen. Wenn man nicht weiß, wie man die Geräte richtig einsetzt oder wo Gefahrenquellen lauern, ist die Gefahr groß, dass bei der Operation Komplikationen eintreten, die man unter Umständen erst dann bemerkt, wenn es schon zu spät ist.

 

Leider werden Studenten und Ärzte im Umgang mit elektrochirurgischen Instrumenten viel zu wenig geschult. Um diesen "weißen Fleck auf der Karte der chirurgischen Ausbildung" zu füllen, wurde das "Fundamental Use of Surgical Energy"-Programm - kurz: FUSE-Programm - ins Leben gerufen.

 

Pascal Fuchshuber - MD, PhD, FACS - ist Professor für Chirurge an der University of California, leitender Arzt des amerikanischen "National Surgical Quality Improvement Program" und Mitglied der "Society of American Gastrointestinal and Endoscopic Surgeons (SAGES)".

In diesem Artikel, den Dr. Fuchshuber exklusiv für uns ´geschrieben hat, erzählt er uns etwas über die Gefahren der Elektrochirurgie und zeigt uns mit Auszügen aus dem FUSE-Programm, wie wir mit elektrochirurgischen Instrumenten richtig umgehen.

Warum müssen wir Elektrochirurgie verstehen ?

Chirurgen und Endoskopiker benutzen seit etwa einhundert Jahren tagtäglich elektrochirurgische Instrumente und andere energetische Geräte am Patienten im Opertationssaal. Aber bis heute existiert ein weisser Fleck in der Landkarte der ärztlichen Ausbildung: Ein standardisiertes Lernprogram zur Aneignung eines grundlegenden Verständnis dieser Instrumente und Geräte, ihrer Funktionen und möglicher vermeidbarer Komplikationen. Nach Schätzungen ereignen sich allein in den USA etwa 1 bis 2 solcher Komplikationen pro 100 laparoskopischer Eingriffe, bei einer Gesamtzahl von 1-2 Millionen Eingriffen pro Jahr eine nicht unerhebliche Zahl: 10.000 bis 20.000 mal! Die Komplikationen zeigen eine exponentielle Zunahme von Unfällen durch Fehlfunktionen und falscher Umgang mit elektrochirurgischen Instrumenten von den 1990’er Jahren bis 2013. Ebenfalls in den USA werden jährlich hunderte OP-Feuer registriert, mit zum Teil schweren Verletzungen und auch mit Todesfolge, die im Wesentlichen auf die Benutzung elekrochirurgischer Instrumente zurückzuführen sind.

Hinzu kommt eine exponentielle Zunahme der heute gebräuchlichen energetischen Instrumente, die auf die minimal-invasive Revolution der Chrirugie zurückzuführen ist. Ohne die Verfügbarkeit isolierter und spezieller elektrochirurgischer Instrumente wäre diese Revolution nicht möglich gewesen. Diese enorme Zahl unterschiedlicher Instrumente führt aber auch zu einer erhöhten Gefahr für neuartige und spezifische Komplikationen. Diese Komplikationen werden im wahrsten Sinne des Wortes übersehen, da sie in der Regel außerhalb des chirurgischen Blickfeldes enstehen. Die Häufigkeit von  Darmverletzungen während laparoskopischen Operationen beträgt 0,85%, also fast einer pro hundert Operationen.  Die Gesamtmortalität dieser Verletzungen beträgt  3,13%. Für unerkannte Verletzungen steigt die Mortalitätsrate auf 8%

Komplikation nach falscher Benutzung elektrochirurgischer Instrumente | Foto: with permission from SAGES - https://www.youtube.com/watch?v=MSFRrGT3xlw
Komplikation nach falscher Benutzung elektrochirurgischer Instrumente | Foto: with permission from SAGES - https://www.youtube.com/watch?v=MSFRrGT3xlw

Erschwerend  kommt hinzu das Chirurgen und OP-Personal üblicherweise keine Grundausbildung in der Funktion und den potentiellen Komplikationen durch diese Instrumente erhalten. Darüberhinaus gibt es keine spezifische Anforderungen für Chirurgen zum Training mit neuen energetischen Geräten oder zur Zertifizierung ihres korrekten Einsatzes und der Aneignung von Kenntnissen bezüglich ihrer Anwendungssicherheit. Welcher Chirurg weiß schon warum Elektrochirurgie nur hochfrequenten Wechselstrom erfordert, welche Einstellung für welchen Gewebeeffekt optimal ist oder die geringste Gefahr der kapazitiven Kopplung mit sich zieht, warum direkte Kopplung unbedingt zu vermeiden ist, und in welchem Maß elektromagnetische Felder Komplikationen in der Elektrochrirugie herbeiführen können?

Wie funktioniert Elektrochirurgie?

Elektrochirurgie ist keine Kauterisation sondern die differenzierte Anwendung von hochfrequentem Wechselstrom. Schon der Begriff Kauter oder Kauterisation ist irreführend und erschwert das grundlegende physikalische Verständis aus dem sich viele Mechanismen von Komplikationen ableiten lassen. Dies wird im Detail im FUSE-Kurrikulum erörtert, aber ich nenne hier einige Beispiele.

 

Kauterisation ist die dirkte Übertragung von Wärme von einem Objekt – dem Kauter oder Brandeisen – auf ein anderes Objekt. Klassisches Beispiel ist das Brandmarken von Tieren, daher der Name „brand“ im englischsprachigen Raum für Markenzeichen. Kauterisation war die seit Jahrtausenden einzige Form des energetischen Instruments in der Chirurgie bis zur Erfindung des ersten elektrochirurgischen Instruments Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Instrumente ermöglichten Chirurgen erstmals die präzise hämostatische Durchtrennung von Gewebe und Stillung von Blutungen ohne massive thermische Verletzung angrenzenden Gewebes. Das erste Gerät wurde übrigens von Willima T. Bovie für den Neurochirurgen H. Cushing entwickelt.

 

Das Prinizip des elektrochirurgichen Instruments beruht auf der Applikation von hochfrequentem Wechselstrom am Gewebe. Dabei werden Wattstärken von 10-120 und Voltstärken von 1000-9000 ermöglicht!

Aber warum wird eigentlich hochfrequenter Wechselstrom mit einer Frequenz von in der Regel 300.000 bis 500.000 Hz genutzt?

Sowohl der Patient als auch der Operateur würden bei einem Wechselstrom von unter 100.000 Hz sofort einem Stromschlag erliegen, denn unterhalb von 100.000 Hz depolarisieren Muskelzellen sowie Nervenzellen. Oberhalb von 100.000 Hz passiert das jedoch nicht und damit macht die übliche Frequenz des elektrochirurgischen Instruments die Benutzung relativ ungefährlich. Allerdings entstehen durch die hohen Voltzahlen unter Umständen erhebliche elektromagnetische Felder an den Instrumenten, die zu Komplikationen führen können.

 

Zunächst aber zurück zu den grundlegenden physikalischen Eigenschaften elektrochirurgischer Instrumente. Im Prinizip kann durch Modulation des Stroms ein differenzierter Gewebeeffekt erzeugt werden. Diese Aufgabe übernimmt der elektrochirurgische Generator, an dem unterschiedliche Einstellungen wie „cut“ und „coag“ vorgenommen werden können.

Was ist der Unterschied zwischen „cut“ und „coag“?

Dazu muss man den Begriff „duty cycle“ - oder Auslastungsgrad - verstehen.  Das Gerät produziert einen hochfrequenten Wechselstrom der pro definierter Zeiteinheit, beispielsweise eine Sekunde, unterschiedlich lange anliegt, also einem unterschiedlichen Auslastungsgrad unterliegt. Bei der Einstellung „cut“ ist der Auslastungsgrad 100%. Das heißt, es fließt Strom über die gesamte Dauer der Zeiteinheit. Bei gleichbleibender eingestellten Wattzahl von beispielsweise 30 – die Zahl die auf dem Gerät erscheint – wird also eine bestimmte Voltzahl vom Gerät aufgebaut, die bei einem vorhandenen elektrischen Gewebewiderstand die Leistung 30 Watt am Gewebe anlegt. Das erzeugt dann der beobachte Gewebeeffekt.

Schaltet der Operateur jetzt auf „coag“ verkürzt sich der Auslastungsgrad auf nur noch 6%. Das heißt, 94% pro Zeiteinheit liegt gar kein Strom an. Um aber die vom Gerät eingestellte Wattstärke von 30 aufrecht zu erhalten, erhöht sich die Voltzahl dramatisch.

Das kann man sich physikalisch herleiten. Leistung ist die geleistete elektrische Arbeit pro Zeit. Reduziert sich die Zeit, in der Strom appliziert wird, muss die Wattstärke erhöht werden, um in der kürzer zur Verfügung stehenden Zeit die gleiche Leistung erzielen zu können. Diese Verhältnisse und Relationen werden im FUSE-Lernkompendium ausführlich und im Detail beschrieben und erörtert. Es sei noch angemerkt, dass es unterschiedliche Systeme in der elektrochirurgischen Praxis gibt. Hier wurde ein System beruhend auf einer konstanten Leistung (Watt) beschrieben. Andere Systeme arbeiten über konstante Spannung (Volt).

 

Welche Strategien gibt es zur Vermeidung von Komplikationen?

Aufgrund der vielen elektrophysikalischen Phänomene die bei der elektrochirurgischen Praxis zum Tragen kommen, sind entsprechende unerwünschte Gewebverletzungen und Verbrennungen möglich, die häufig nicht erkannt werden und zu verspäteten Komplikationen beim Patienten führen können. Zu diesen Phänomenen gehören Isolationsdefekte, kapazitive Kopplung, direkte Kopplung, Restwärme etc. Als grundlegende Tipps sollte mal beachten:

  • Wähle immer die geringste Energieeinstellung! Damit reduzierst du die Voltzahl auf die kleinstmögliche Einheit und verhinderst den Aufbau eines elektromagnetischen Feldes, das zu Induktionen und Koppelungen führen kann. Geringe Voltzahlen sind in der Regel identisch mit der „cut“ Einstellung.
  • Finger weg von Koagulationsstrom! Die „coag“ Einstellung sollte möglichst nur für breitflächige Fulgurationen zur Hämostase verwendet werden, da sie zu sehr hohen Voltzahlen führen kann (siehe oben). Die Einstellung „coag“ führt durch den geringen Auslastungsgrad von nur 6% zur Bildung von Strombögen und unregelmäßigen Dessikationen und Denaturierungen des Zielgewebes, was einem hämostatischen Gewebeeffekt entgegensteht. „Coag“ nicht für Hämostase benutzen, so kontraintuitiv dies auch erscheint.
  • Alle Instrumente immer im Sichtfeld behalten! Die Komplikationen, in der minimal-invasiven Elektrochirurgie im Besonderen, sind im wahrsten Sinne des Wortes nicht sichtbar, da das operative Blickfeld sehr eingeschränkt ist und die Verletzungen durch Kriechstrom oder Kopplung ausserhalb des operativen Feldes am Geräteschaft oder der Kanüle auftreten können.
  • Berühre nur das Zielgewebe/Organ! Achte darauf, dass das aktive Instrument nur das Zielgewebe berührt und nicht aus Versehen auch an anderem Gewebe wie Darm oder Gefäßen anliegt.
  • Instrumente bleiben auch nach dem Ausschalten thermisch aktiv! Dies ist besonders bei bipolaren und Ultraschall-Dissektionsinstrumenten der Fall. Der aktive Teil des Intruments kann 600 Grad Celsius erreichen und behält diese thermische Energie noch bis zu 2 Minuten nach dem Abschalten. Das kann zu unerkannten thermischen Verletzungen führen.
  • Behalte die Kontrolle über den Ein-/Aus-Schalter! Insbesondere wenn ein Fußschalter benutzt wird, kann es passieren das der Operateur oder der Assistent versehntlich das Gerät oder Instument aktiviert, bevor das geeignet Zielgewebe identifiziert worden ist. Das Instrument kann oft auch an der blanken Haut des Patienten anliegen, wenn es nicht in seinen Halter zurückgeführt worden ist. Das führt im geringsten Fall zu unschönen und schmerzhaften Hautverbrennungen, kann aber auch tödliche Darmverletzungen zur Folge haben.
  • Vorsicht mit isolierten Leitern! Isolierte Leiter sind das ideale Objekt für den Aufbau eines eletkromagnetischen Feldes und die Übertragung von Strom von einem aktiven Leiter auf einen inaktiven, beispielsweise eine Retraktionspinzette. Wenn aktive Instrumente mit isoliertem Schaft benutzt werden, ist es wichtig, die Relation des gesamten Instruments zu anderen isolierten Instrumenten im Auge zu behalten und eine parallele Einstellung möglichst zu vermeiden. Das gilt auch for metallene Kanülen und insbesondere in der „Single Port“-Chirurgie.

 

Das FUSE-Ausbildungsprogramm von Chirurgen für Chirurgen

Das "Fundamental Use of Surgical Energy (FUSE)"-Programm ist ein Lernprogramm für die Anwendung und Sicherheit chirurgischer Instrumente, das unabhängig von der Industrie entwickelt wurde und eine validierte Beurteilung des erlernten Wissens beinhaltet. Auf diese Weise können die Wissenslücken sowie die Einführung neuer Geräte in einer Art und Weise angegangen werden, die die Sicherheit von Patienten und OP-Personal in gleicher Weise berücksichtigen.

Das  von SAGES entwickelte Programm enstand in einem multidisziplinären Entwicklungsprozess mit einer Vielzahl von allgemeinen und spezialisierten Chirurgen, Krankenschwestern, Anästhesisten, Gynäkologen und Ingenieuren.  Das Programm hat drei Hauptkomponenten: 1.) Ein standardisiertes Online-Kurrikulum, das  kostenlos zur Verfügung steht, 2.) ein Handbuch, das beim Springer-Verlag erhältlich ist und 3.) eine Zertifizierungsprüfung, die strenge psychometrische und Akkreditierungsstandards erfüllt.

 

Direkter Zugang zum FUSE Lernprogram: www.fundamentals-didactics.com   

 

 

FUSE Kontakt Adresse:

Jessica Mischna

FUSE Program Manager

SAGES

11300 W. Olympic Blvd. Suite 600

Los Angeles, CA 90064

Phone 310.437.0544 ext. 139

Fax   310.437.0585

Email jessica@fuseprogram.orgWeb   www.sages.org

 

Danksagung:

Der Autor  möchte sich bei Jessica Mischna, Sallie Matthews, Brenda Castaneda, und Carla Bryant , SAGES, für ihre unermuedliche Unterstützung des FUSE-Programms und bei den Mitgliedern der SAGES FUSE Task-Force für ihre Beiträge bedanken: Sharon L. Bachman, L. Michael Brunt, Bipan Chand, James Choi, Charles Cowles, Suvranu De, Liane S Feldman, Karen Galvan, Warren S. Grundfest, Charlotte Guglielmi, Daniel Hashimoto, Steven Henriques, Daniel Herron, Joseph Hudgens, David Iannitti, Gretchen Purcell Jackson, Daniel B.Jones; Stephanie B Jones, Jarrod Kaufman, Young-Woo Kim, Robert Lim, Leena Khaitan, Omar Yusef Kudsi, Amani Madani, Dean J. Mikami, Paul Montero, Kenric Mrayama, Ellen Morrow, Malcom Munro, Raol Munver, Jaisa Olasky, Kinga Powers, William Richardson, Marc Rozner †, Thomas Robinson; Steven D Schwaitzberg; Garesh Sankaranarayanan, Victoria Steelman, Brenda Ulmer, Carl R.Voyles, Yusuke Watanabe..

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